Einleitung: Die Energiestrategie 2050 als Wegweiser
Die Schweiz hat sich mit der Energiestrategie 2050, die 2017 vom Volk angenommen wurde, ein ambitioniertes Ziel gesetzt: den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie, die Steigerung der Energieeffizienz und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Sechs Jahre nach diesem Volksentscheid ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wo steht die Schweiz auf dem Weg zur nachhaltigen Energieversorgung? Welche Erfolge wurden erzielt und welche Hürden bleiben zu überwinden?
Der aktuelle Stand: Eine gemischte Bilanz
Die Schweiz galt lange als Musterland in Sachen Nachhaltigkeit – vor allem dank der Wasserkraft, die rund 60% der inländischen Stromproduktion ausmacht. Doch beim Ausbau neuer erneuerbarer Energien zeigt sich ein differenzierteres Bild.
Erfolge beim Ausbau erneuerbarer Energien
Der Anteil neuer erneuerbarer Energien am Stromverbrauch ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 2022 machten Sonnen-, Wind- und Biomasseanlagen sowie Kleinwasserkraftwerke etwa 12% der Schweizer Stromproduktion aus – gegenüber nur etwa 3% im Jahr 2010.
Besonders die Photovoltaik hat einen beeindruckenden Wachstumskurs hingelegt. Ende 2022 waren Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von rund 3,65 Gigawatt installiert – ein Zuwachs von über 850 Megawatt allein im Jahr 2022. Das entspricht der Leistung eines grossen Kernkraftwerks. Gestützt wurde diese Entwicklung durch sinkende Kosten für Solartechnik und verbesserte Förderbedingungen.
Herausforderungen und Defizite
Trotz dieser Fortschritte bleibt die Schweiz hinter ihren eigenen Zielen und im internationalen Vergleich zurück. Während Länder wie Dänemark, Deutschland oder Österreich beim Ausbau erneuerbarer Energien deutlich schneller voranschreiten, sind in der Schweiz verschiedene Hürden zu beobachten:
- Langsame Bewilligungsverfahren: Von der Planung bis zur Realisierung grösserer Energieprojekte vergehen oft viele Jahre.
- Föderalistische Strukturen: Die Zuständigkeiten sind auf Bund, Kantone und Gemeinden verteilt, was zu komplexen Abstimmungsprozessen führt.
- Landschafts- und Umweltschutz: Der Schutz von Landschaft, Natur und Biodiversität steht manchmal in Konflikt mit Energieprojekten.
- Winterstromlücke: Besonders in den Wintermonaten muss die Schweiz zunehmend Strom importieren, da die Solarproduktion dann deutlich geringer ist.
Innovationen und Lösungsansätze
Angesichts dieser Herausforderungen entstehen in der Schweiz innovative Konzepte und Lösungsansätze, die den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung ebnen sollen.
Alpine Solaranlagen als Winterstrom-Lösung
Eine vielversprechende Innovation sind alpine Solaranlagen. In Hochgebirgslagen ist die Sonneneinstrahlung im Winter deutlich intensiver als im Mittelland, und der Schnee verstärkt durch Reflexion die Energieausbeute zusätzlich. Pionieranlagen wie jene auf dem Muttsee in Glarus oder am Lac des Toules im Wallis zeigen das Potenzial dieses Ansatzes.
Das neue Solarexpress-Gesetz, das 2022 verabschiedet wurde, erleichtert nun den Bau solcher alpinen Anlagen. Es sieht beschleunigte Genehmigungsverfahren für grosse Solaranlagen vor, insbesondere für solche in den Bergen, die bedeutende Mengen an Winterstrom liefern können.
Innovative Speicherlösungen
Die Volatilität erneuerbarer Energien erfordert effiziente Speicherlösungen. Die Schweiz verfügt mit ihren Pumpspeicherkraftwerken bereits über bedeutende Kapazitäten, doch für die Energiewende werden weitere Optionen benötigt:
- Batteriespeicher: Immer mehr Privathaushalte und Unternehmen investieren in Batteriesysteme, um selbst erzeugten Solarstrom zu speichern. Die Kosten für solche Systeme sind in den letzten Jahren deutlich gesunken.
- Power-to-Gas: Pilotanlagen wie jene in Rapperswil-Jona wandeln überschüssigen Ökostrom in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas um, das gespeichert und bei Bedarf wieder verstromt werden kann.
- Saisonale Wärmespeicher: Grosse unterirdische Speicher können Wärme von Sommer bis Winter bewahren und so die saisonale Energielücke schliessen.
Dezentrale Energiegemeinschaften
Ein wichtiger Trend sind dezentrale Energiegemeinschaften, in denen Bürger, Gemeinden oder lokale Unternehmen gemeinsam in erneuerbare Energien investieren und von der Produktion profitieren. Diese Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) werden durch neue gesetzliche Regelungen unterstützt und fördern die Akzeptanz der Energiewende.
Ein Beispiel ist die Energiegenossenschaft Watt-Wil im Kanton St. Gallen, wo sich über 200 Bürger zusammengeschlossen haben, um gemeinsam in Solaranlagen zu investieren. Der erzeugte Strom wird direkt an die Mitglieder verkauft oder ins Netz eingespeist.
Politische Entwicklungen und Rahmenbedingungen
Die politischen Weichenstellungen spielen eine entscheidende Rolle für das Tempo der Energiewende. In den letzten Jahren wurden wichtige Entscheidungen getroffen:
Der Mantelerlass zur beschleunigten Energiewende
Im September 2022 hat das Schweizer Parlament den "Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien" (Mantelerlass) verabschiedet. Dieses umfassende Gesetzespaket sieht unter anderem vor:
- Verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energien
- Vereinfachte Genehmigungsverfahren für Photovoltaik-, Wind- und Wasserkraftanlagen
- Erleichterte Bewilligungen für alpine Solaranlagen mit Winterstromproduktion
- Verbesserte Investitionsbeiträge und eine Erhöhung der Einmalvergütungen für Solaranlagen
Kantonale Initiativen
Auch auf kantonaler Ebene gibt es Fortschritte. Mehrere Kantone haben ihre Energiegesetze modernisiert und ambitionierte Ziele formuliert:
- Der Kanton Zürich hat 2022 ein neues Energiegesetz verabschiedet, das den Ersatz von Öl- und Gasheizungen durch klimafreundliche Alternativen fördert.
- Der Kanton Bern hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden, und unterstützt die Installation von Solaranlagen mit zusätzlichen Fördermitteln.
- Der Kanton Wallis forciert mit seinem Energieplan die Nutzung der Wasserkraft und alpiner Solaranlagen.
Herausforderung Finanzierung
Die Finanzierung der Energiewende bleibt eine zentrale Herausforderung. Nach Schätzungen des Bundes sind in den nächsten Jahrzehnten Investitionen in Höhe von über 100 Milliarden Franken nötig, um die Energiestrategie 2050 umzusetzen.
Die Fördermittel wurden zwar aufgestockt, reichen aber nicht aus, um alle Potenziale zu erschliessen. Hier sind neue Finanzierungsmodelle und verstärkte private Investitionen gefragt.
Die gesellschaftliche Dimension: Akzeptanz und Beteiligung
Die Energiewende ist nicht nur eine technische und politische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg.
Bürger als Teilhaber und Gestalter
Studien zeigen, dass die Akzeptanz für erneuerbare Energieprojekte deutlich höher ist, wenn Bürger beteiligt werden – sei es durch finanzielle Teilhabe oder durch Mitgestaltungsmöglichkeiten. Energiegenossenschaften wie "Optima Solar" oder Bürgerwindparks gehen diesen Weg erfolgreich.
Bildung und Aufklärung
Um die Unterstützung für die Energiewende zu stärken, spielen Bildung und Aufklärung eine wichtige Rolle. Initiativen wie "EnergieSchweiz" oder die "Klimaschulen" vermitteln Wissen über erneuerbare Energien und Energieeffizienz – insbesondere auch an junge Menschen, die die Energieversorgung der Zukunft gestalten werden.
Arbeitsmarkt und Fachkräfte
Die Energiewende schafft neue Arbeitsplätze, erfordert aber auch qualifizierte Fachkräfte. Schätzungen gehen von bis zu 100'000 neuen Arbeitsplätzen aus, die in der Schweiz durch den Umstieg auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz entstehen könnten.
Gleichzeitig fehlen bereits heute Fachkräfte in vielen Bereichen – vom Solarinstallateur bis zum Energieberater. Die Aus- und Weiterbildung von Spezialisten wird damit zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für die Energiewende.
Die internationale Einbettung
Die Schweizer Energiewende vollzieht sich nicht isoliert, sondern ist in einen europäischen und globalen Kontext eingebettet.
Das Verhältnis zur EU
Die Schweiz ist durch verschiedene Stromleitungen eng mit dem europäischen Stromnetz verbunden. Rund 10% des hierzulande verbrauchten Stroms werden importiert, vor allem im Winter.
Das Fehlen eines Stromabkommens mit der EU erschwert jedoch die Integration in den europäischen Strommarkt. Ohne ein solches Abkommen droht die Schweiz bei Stromengpässen benachteiligt zu werden.
Globale Klimaziele
Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Schweiz verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu senken. Die Energiewende ist ein zentraler Baustein zur Erreichung dieses Ziels.
International hat die Schweiz die Chance, mit innovativen Lösungen – etwa im Bereich alpine Photovoltaik oder Wasserstoffspeicherung – eine Vorreiterrolle einzunehmen und Technologien für den globalen Markt zu entwickeln.
Ausblick: Szenarien für die Schweizer Energiezukunft
Wie könnte die Energieversorgung der Schweiz im Jahr 2050 aussehen? Fachleute skizzieren verschiedene Szenarien:
Szenario 1: Die dezentrale Energieversorgung
In diesem Szenario wird ein Grossteil des Stroms dezentral durch Photovoltaikanlagen auf Dächern und Fassaden erzeugt. Ergänzt wird dies durch Windparks, Kleinwasserkraftwerke und Biomasseanlagen. Lokale Batteriespeicher und intelligente Netze sorgen für Ausgleich, während die grossen Wasserkraftwerke als "Backup" dienen.
Szenario 2: Die alpin-zentrierte Versorgung
Hier spielen grosse alpine Solar- und Windenergieanlagen die Hauptrolle, ergänzt durch ausgebaute Pumpspeicherkraftwerke. Diese Kombination kann auch im Winter zuverlässig Strom liefern. Im Mittelland dominieren weiterhin dezentrale Lösungen für den lokalen Bedarf.
Szenario 3: Die europäisch vernetzte Lösung
Die Schweiz setzt auf eine enge Einbindung in das europäische Energiesystem. Überschüssiger Solarstrom aus Südeuropa, Windstrom aus Nordeuropa und Wasserkraft aus Skandinavien ergänzen die inländische Produktion. Die Schweiz bringt ihre Speicherkraftwerke als "Batterie Europas" ein.
Wahrscheinlich ist eine Kombination aus diesen Szenarien, die die verschiedenen Stärken nutzt und Risiken minimiert.
Fazit: Die Energiewende ist machbar, braucht aber mehr Tempo
Die Schweizer Energiewende zeigt erste Erfolge, doch für die Erreichung der ambitionierten Ziele muss das Tempo deutlich erhöht werden. Dies erfordert mutige politische Entscheidungen, innovative Technologien, neue Finanzierungsmodelle und eine breite gesellschaftliche Beteiligung.
Der Ausbau erneuerbarer Energien bietet nicht nur ökologische Vorteile, sondern stärkt auch die Versorgungssicherheit und schafft wirtschaftliche Chancen. Die aktuelle geopolitische Lage und die Klimakrise unterstreichen die Dringlichkeit einer unabhängigen und nachhaltigen Energieversorgung.
Als Unternehmen für erneuerbare Energielösungen sieht UnsavCarpi seine Aufgabe darin, diese Transformation aktiv zu unterstützen – durch innovative Technologien, massgeschneiderte Beratung und die Umsetzung nachhaltiger Energieprojekte. Gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern arbeiten wir an einer Energiezukunft, die wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig ist.
Die Schweiz hat alle Voraussetzungen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten. Nutzen wir diese Chance!